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COVID-19-Impfstoffe: USA offen für Anpassung von WTO-Regeln –  Bundesregierung und EU dürfen nicht länger Patentaussetzung blockieren

Genf/Berlin, 21. April 2021 -  Vor einer weiteren Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) am Donnerstag fordert die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel dringend auf, ihre Blockade einer Patentaussetzung für Covid-19-Impfstoffe endlich aufzugeben. Zuvor hat die US-Handelsbeauftragte ein mögliches Überdenken der ablehnenden Haltung ihres Landes angedeutet, und die WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala hat die Mitgliedstaaten aufgefordert, die Verhandlungen über den bahnbrechenden Antrag von Indien und Südafrika zur Aussetzung von Patenten voranzutreiben. Zahlreiche Länder wie Indien, Brasilien und Peru kämpfen derzeit mit massiven Covid-19-Ausbrüchen – auch weil Impfstoffe fehlen. 

„Die USA scheinen ihre Haltung in Anbetracht der drastischen Lage der Pandemie zu überdenken“, sagt Elisabeth Massute von der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen. „Nun muss auch die EU ihre Blockadehaltung endlich aufgeben. Alle Maßnahmen von der Patentaussetzung bis zum Technologietransfer müssen dringend genutzt werden, um so schnell wie möglich mehr Menschen weltweit und nachhaltig schützen zu können. Die permanenten Produktions- und Lieferausfälle zeigen, wie wichtig eine barrierefreie globale Impfstoffproduktion ist. Das Ziel des Impfstoffverteilmechanismus Covax, zumindest Gesundheitspersonal in armen Ländern zu schützen, wird um zwei Drittel verfehlt, weil Impfstoffe fehlen. Das ist ein absolutes Desaster. Gerade Deutschland, das starke Produktionskapazitäten für die wichtigen mRNA-Impfstoffe aufgebaut hat und zwei massiv staatlich geförderte mRNA-Impfstoffentwickler beherbergt, sollte Vorreiter dafür sein, dass mit staatlichen Geldern geförderte Technologien zur Eindämmung und zum Schutz vor Pandemien schnell mit der Welt geteilt werden. Es darf nicht sein, dass Menschen leiden und sterben müssen, obwohl es wirksame Impfstoffe gibt. Kanzlerin Merkel sollte dies dringend zur Chefinnensache erklären“.

Der Antrag auf Ausnahmen vom TRIPS-Abkommen würde es Staaten erlauben, geistige Eigentumsrechte auf medizinische Hilfsmittel gegen Covid-19 für die Dauer der Pandemie auszusetzen. Er wird von mehr als hundert Mitgliedstaaten unterstützt, doch eine Minderheit reicher Länder lehnt ihn ab und verschleppt die Verhandlungen. Die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai hat jedoch nun vergangene Woche bei einer WTO-Konferenz betont, dass „die erheblichen Ungleichheiten, die wir beim Zugang zu Impfstoffen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern sehen, völlig inakzeptabel sind", und dass Fehler, die während der HIV/AIDS-Epidemie zu "unnötigen Todesfällen und Leid" geführt haben, nicht wiederholt werden dürften. Während die USA noch nicht klargestellt haben, ob sie ihre Position zum Antrag der TRIPS-Ausnahmeregelung geändert haben, erkannte Tai an, dass die WTO-Regelungen möglicherweise angepasst werden müssen, um in der Zeit der Krise einen Durchbruch zu erzielen. Das Statement der USA stand in krassem Gegensatz zu jenem der Europäischen Kommission, die sich für eine Beibehaltung der aktuellen Handelsregeln aussprach.

Ärzte ohne Grenzen hat jüngst gemeinsam mit 200 anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen einen Offenen Brief an die WTO-Generaldirektorin und die WTO-Mitgliedsstaaten geschickt, der die Unzulänglichkeit freiwilliger Lizenzen und der bestehenden WTO-Handelsregeln in der aktuellen Pandemie aufzeigt und die Notwendigkeit für die Aussetzung geistiger Eigentumsrechte unterstreicht. In ihrer Antwort an die Unterzeichnenden bestätigte Okonjo-Iweala, dass bislang Produktionskapazitäten zur Impfstoffherstellung ungenutzt bleiben und Fragen rund um geistige Eigentumsrechte ein zentraler Aspekt sind, um diese Kapazitäten auszuschöpfen.

Neben den bereits zugelassenen Impfstoffen und Arzneimitteln befinden sich derzeit mehrere vielversprechende Impfstoffe und Medikamente gegen Covid-19 in klinischen Studien. Falls sie sich als wirksam herausstellen, könnten sie ein entscheidender Teil der Pandemiebekämpfung werden, insbesondere vor dem Hintergrund des langsamen und global ungleichen Impfstoffeinsatzes und des Auftretens von Virusvarianten. Selbst inmitten der Pandemie halten Pharmafirmen aber strikt an ihrer Kontrolle über geistige Eigentumsrechte fest. Eine Analyse von Ärzte ohne Grenzen zeigt, dass sie im vergangenen Jahr Patentanträge für mehrere Medikamente zur Behandlung von Covid-19 gestellt haben, die sich im Entwicklungsstadium befinden.

Die Rede der US-Handelsbeauftragten Katherine Tai vom 14. April finden Sie hier.

Die Rede von WTO-Generalsekretärin Ngozi Okonjo-Iweala finden Sie hier.

Für die Bundesregierung hat das Justizministerium die ablehnende Haltung gegenüber der Aussetzung geistiger Eigentumsrechte erklärt. Siehe beispielsweise hier.

Den Offenen Brief der 200 zivilgesellschaftlichen Organisationen finden Sie hier.

Interviews mit Elisabeth Massute sind möglich!

Für weitere Auskünfte sprechen Sie uns an

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Stefan Dold
- Pressestelle