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Welt-AIDS-Tag 2022: Wir haben viel erreicht und es gibt noch viel zu tun

“Vor 20 Jahren galt eine HIV-Diagnose in der Demokratischen Republik Kongo noch als Todesurteil,” sagt Dr. Maria Mashako, die dort unsere medizinischen Projekte koordiniert. Heute sieht das in dem großen zentralafrikanischen Land schon ganz anders aus. Dennoch – und das ist nur ein Beispiel für viele andere Länder - bleibt noch immer sehr viel zu tun.  

Medizinische Hilfe gegen HIV und AIDS, wo es sonst keine gab  

Als unser Behandlungszentrum in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa 2002 seine Pforten öffnete, war der Besuch dieser Einrichtung die einzige Möglichkeit für Betroffene, kostenfreie medizinische Hilfe zu erhalten. Damals lebten in der Demokratischen Republik Kongo mehr als eine Million Menschen mit HIV. 

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Clarissa Mawika
Clarissa Mawika war zunächst Patientin und koordiniert nun eine der Verteilungsstellen von Antiretroviralen Medikamenten (PODI) in der Demokratischen Republik Kongo.
© Charly Kasereka/MSF

"Ich denke nicht gerne an diese Zeit zurück", sagt die 60-jährige Clarisse Mawika, die 1999 positiv getestet wurde. "Als ich das Ergebnis erhielt, dachte ich: 'Bereite deine Beerdigung vor'. Aber meine Familie hat zusammengelegt, um mir Medikamente aus Europa zu besorgen. Irgendwann konnten wir  uns das jedoch nicht mehr leisten, und ich musste die Behandlung für mehrere Monate unterbrechen. Mein Zustand begann sich schnell zu verschlechtern. Da erzählte mir jemand von Ärzte ohne Grenzen."

Dr. Mashako erinnert sich: “Der Andrang war riesig. Die Sprechstunden begannen im Morgengrauen und endeten spät in der Nacht. Es waren so viele Patient*innen...”

Die antiretrovirale Behandlung (ARV), bei der die lebenslange Einnahme von Medikamenten den Betroffenen ein vergleichsweise langes und gesundes Leben ermöglicht, existierte zu diesem Zeitpunkt bereits. Für die meisten Betroffenen im Globalen Süden war sie aber unbezahlbar: Der Preis für eine Person pro Jahr lag bei über 10.000 US Dollar. 

Erst Aktivismus schafft die dringend nötige Veränderung  

Es brauchte das Aufbegehren von Patientenaktivist*innen, Gesundheitsrechtsgruppen und der Zivilgesellschaft in Ländern wie Südafrika oder Indien, dass HIV-Medikamente endlich zugänglicher und bezahlbarer wurden.  

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Indien, 2006: Demonstration gegen Monopole auf HIV-Medikamente.
Gemeinsam mit anderen Akteuren setzen wir uns auch politisch dafür ein, dass überlebenswichtige Medikamente allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung stehen. Wie hier in Indien 2006, als wir gegen Patente auf HIV-Medikamente protestiert haben.
© MSF

Nach Jahren voller Demonstrationen und langen Verhandlungen, zeigte der gemeinsame Aktivismus schließlich Erfolg: Patente wurden aufgehoben und Produktionsraten erhöht, wodurch die Preise um 9 Prozent sanken. Erheblich mehr Menschen können sich seither eine lebensrettende Behandlung leisten, und die Zahl der Neuinfektionen ging in den folgenden zehn Jahren um die Hälfte zurück. 

Warum werden wir immer noch gebraucht? 

In Kinshasa begannen wir Mitte der 2000er-Jahre die medizinische Versorgung zu dezentralisieren, um mehr Menschen zu erreichen: Wir unterstützten Gesundheitszentren und Krankenhäuser dabei, kostenlose Screening-Tests zu machen und mit HIV infizierte Menschen und AIDS-Patient*innen zu behandeln und zu pflegen. Allein in Kinshasa profitierten in den vergangenen zwei Jahrzehnten rund 30 Gesundheitseinrichtungen davon. 

"2008 haben wir außerdem eine stationäre Abteilung für die Behandlung von Menschen mit fortgeschrittener HIV-Infektion eingerichtet”, berichtet Dr. Mashako. “Wir konnten uns damals nicht vorstellen, dass wir mehr als zehn Jahre später immer noch so viele Patient*innen hier behandeln würden," sagt Dr. Mashako heute.  

Seit der Eröffnung wurden in unserem Behandlungszentrum mehr als 21.000 Menschen aufgenommen. "Im Laufe der Jahre haben wir die ursprüngliche Bettenkapazität verdoppelt, aber wir müssen immer noch regelmäßig Zelte aufstellen, um alle Patient*innen unterzubringen." Es fehlt landesweit an mehr Angeboten für eine solche medizinische Hilfe. 

Wissen und Gemeinschaft können den Unterschied machen 

Ein wichtiger Faktor im Einsatz gegen HIV ist Information: Wenn ich weiß, dass ich krank bin, kann ich mich um eine Behandlung kümmern und kann sicherstellen, dass ich andere nicht anstecke. In Kinshasa stellten unsere Teams jedoch fest, dass sie mit den üblichen Aufklärungsmaßnahmen besonders junge Menschen nicht erreichen. Also probierten sie es anders: Mit den kongolesischen Musiker*innen Lexxus Legal und Sista Becky produzierten sie ein Musikvideo zum Thema.

Musikvideo "Zwa Nga Bien" ("Schau’ mich gut an"), 2017.

Außerdem schufen sie Clubs für Jugendliche mit HIV als sichere Begegnungsräume. Dort können sich die 14- bis 25-Jährigen austauschen und bei der Einhaltung ihrer Behandlungsvorgaben gegenseitig unterstützen. Die Maßnahmen funktionierten: Im August 2022 ergab eine Analyse, dass 100 Prozent derjenigen, die den Jugendclubs mit einer nicht nachweisbaren Viruslast beitraten, es geschafft haben, sich an die Behandlungsvorgaben einer regelmäßigen Einnahme zu halten, die bewirkt, dass die Anzahl der Viren im Körper so stark reduziert ist, dass Infizierte andere Menschen nicht anstecken können.  

Schließlich halfen wir bereits im Jahr 2004 bei der Gründung einer  Patient*innenvereinigung, die inzwischen mehr als 15.000 Mitglieder und Aktivist*innen verzeichnet. Sie fungiert für Menschen, die mit HIV-Erkrankungen leben, als nationales Netzwerk. Die Vereinigung koordiniert unter anderem mehrere sogenannte “PODI”. Das sind kommunale Verteilungszentren für antiretrovirale Medikamente, in denen sich Patient*innen selbstständig ihre Arzneimittel abholen können. Dies ermöglicht Betroffenen ein selbstständigeres Leben mit der Krankheit. 

Einer von fünf Menschen hat keinen Zugang zur Behandlung 

Erhebungen von UN AIDS zufolge leben heute immer noch mehr als 500.000 Menschen mit HIV in der Demokratischen Republik Kongo, und einer von fünf Menschen hat noch immer keinen Zugang zu einer Behandlung. Im Jahr 2021 waren HIV und Aids für fast 14.000 Todesfälle verantwortlich, und fast 20.000 Menschen infizierten sich neu mit dem Virus.  

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Dr. Maria Mashako
Dr. Maria Mashako
© Charly Kasereka/MSF

Die Demokratische Republik Kongo ist im Kampf gegen HIV und AIDS fast ausschließlich auf internationale Geldgeber angewiesen. Deren Unterstützung ist jedoch bis heute angesichts des Ausmaßes der Herausforderungen unzureichend: "Es bräuchte deutlich mehr Geld, um mehr zu testen, Personal auszubilden, verlässlich Medikamente zu beschaffen und die massiven Unterschiede in der HIV-Versorgung zwischen den Provinzen im Land auszugleichen," erklärt Dr. Mashako.

HIV wird in der Demokratischen Republik Kongo nicht besiegt werden, wenn nicht alle Akteure ihre Bemühungen verstärken. “Ich wünsche mir, dass in 20 Jahren die Versorgung von HIV-Patient*innen in der Demokratischen Republik Kongo gesichert und die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen nicht mehr notwendig ist.”  

Wissenswertes über HIV und AIDS

Obwohl behandelbar, gibt es immer noch Länder, in denen HIV und AIDS epidemische Ausmaße annimmt. Um HIV-Infektionen zu vermeiden, ist Aufklärung besonders wichtig.