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Reden, um den Schmerz zu lindern

Seit 2017 hat der Konflikt in der nördlichen Provinz Cabo Delgado in Mosambik fast 670.000 Menschen vertrieben. Die Lebensbedingungen in den provisorischen Camps, die für Tausende erschöpfte Familien errichtet wurden, verschlechtern sich zunehmend. Viele der Menschen fühlen sich hoffnungslos und sind frustriert. Währenddessen versuchen sie, mit dem Wenigen was es an Nahrung, Kleidung, Medikamenten und Plastikplanen gibt, zurechtzukommen – besonders schwierig ist es während der Regenzeit. Jeder Aspekt des Lebens in den Camps ist ein Kampf, und die Traumata, die die vertriebenen Menschen durchlebt haben, fordern ihren Tribut.

Wir bauen vor Ort vor allem Latrinen und stellen sauberes Wasser bereit. Im Dezember 2020 starteten wir zudem ein Programm für mentale Gesundheit in den Camps Nangua und 25 de Junho, um unsere mobilen Kliniken zu unterstützen. Die beiden Camps sind die bevölkerungsreichsten in Metuge, in den Außenbezirken der Provinzhauptstadt Pemba.

“Alles verloren”

Auch in Montepuez, der zweitgrößten Stadt in Cabo Delgado, wo ebenfalls Tausende Vertriebene Zuflucht suchen, haben wir mit einem solchen Programm begonnen. Die dort lebenden Vertriebenen sind größtenteils aus dem Küstenbezirk Quissanga geflohen, wo die Kämpfe zwischen der mosambikanischen Armee und einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppe am schwerwiegendsten waren. Viele Dörfer wurden niedergebrannt, und die vertriebenen Menschen erzählen, wie sie ihre Häuser, Angehörigen und ihren gesamten Besitz durch die Gewalt verloren haben.  

"Wir versuchen zu verstehen, wie ihr Leben aussah, bevor sie fliehen mussten... ob es in ihrer Gegend Kämpfe gab, als sie weggelaufen sind und was sie auf ihrem Weg in die Camps erlebt haben", sagt Frida*, eine Mitarbeiterin in unserem Team. "Die meisten von ihnen erzählen, dass sie zu Fuß gekommen sind. Sie haben keine Fahrzeuge und auch kein Geld, um Transportmittel zu bezahlen."  

Vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre

Unsere psychosozialen Aktivitäten umfassen Gesprächskreise, Theater, Fußballspiele, Tanzen und Singen. Gerade Gesprächskreise sind sichere Räume für die Vertriebenen, um sich zu öffnen und in einer vertrauensvollen Atmosphäre über das zu sprechen, was sie erlebt haben. Wir bieten auch getrennte Kreise für Frauen und Männer an.   

"Während eines solchen Gesprächskreises im Nangua Lager sagte eine Frau: ‘Ich habe dieses Kind allein im Wald gefunden. Ich weiß nicht, wo ihre Mutter ist. Wir haben letztes Jahr unsere Häuser verlassen und auf dem Weg gelitten und jetzt sind wir hier in Metuge. Wir haben große Schmerzen! Wir, die Menschen von Cajembe und Nankaramo [ihre Heimatbezirke], haben zu viel gelitten. Wir sind nicht freiwillig hier. Wenn wir wählen könnten, wären wir an Orte weitergezogen, wo unser Leben besser wäre."   

Für manche bedeutet die Reise in die Sicherheit der Camps einen tagelangen Fußmarsch. Das kostet Kraft, die Kinder und ältere Menschen nicht haben, und manche Familien verlieren unterwegs Angehörige. "Viele Menschen werden krank. Manche bekommen geschwollene Beine, nachdem sie so lange Strecken gelaufen sind. Ihre Körper sind müde und schmerzen", sagt Frida. Der Weg von Mueda nach Pemba ist 268 Kilometer lang. Um die Camps zu erreichen, müssen die Menschen etwa 54 Stunden durchgängig laufen. Ohne Schlaf, Essen und Wasser kommen sie in einem sehr schwachen Zustand an und müssen sich dann den schlimmen Lebensbedingungen in den Camps stellen.

Jeder Tag bringt Herausforderungen

"Wir bitten sie, uns zu erzählen, wie sie sich an ihre neue Realität gewöhnt haben, und alles, was wir hören, sind ihre Sorgen. Wir wissen, dass es nicht einfach ist. Jeder Tag konfrontiert sie mit Herausforderungen. Es gibt nicht genug Essen, es ist nicht gleichmäßig verteilt, und nicht jede*r hat Kochutensilien. Es gibt nicht genug Platz in den Zelten und nicht alle Zelte schützen gegen Regen. All das erinnert die Menschen an das, was sie zurückgelassen haben. Es bringt das Leid zurück und verursacht ihnen neuen Schmerz, ob sich dieser nun körperlich oder seelisch äußert. Sie erzählen uns, dass sie Probleme haben zu schlafen, wegen all dem, was sie durchgemacht haben, den Dingen, die sie miterleben mussten. Diese quälenden Bilder rauben ihnen den Schlaf, den Willen zu essen und manchmal auch den Lebenswillen", sagt Tamara*, eine weitere Mitarbeiterin unseres Teams.   

"Es ist sehr traurig. Sie haben ihre Häuser verlassen, in der Hoffnung, dem Leid zu entkommen", sagt Tamaras Kollege Pedro*. "Aber das ist nicht der Fall. Es tut weh, jemanden weinen und erzählen zu hören, dass ihre Söhne weggebracht wurden und sie nicht weiß, ob sie jemals zurückkehren werden. Heute, während unseres Gesprächskreises, erzählte uns ein Dorfvorsteher, dass sie 140 Mitglieder ihrer Gemeinschaft verloren haben."

Den Schmerz für einen Moment lindern   

Unsere psychosoziale Unterstützung hilft den Menschen jedoch, mit ihrem Verlust umzugehen. Tamara erzählt, dass die Patient*innen für das Programm sehr dankbar sind." Allein die Tatsache, dass wir da sind und ihnen zuhören , lässt sie sich besser fühlen. Wir singen und tanzen, wir machen Aktivitäten, die ihren Schmerz lindern, wenn auch nur für einen Moment. Es gibt ihnen die Möglichkeit, alles Positive aus ihren Dörfern mitzuteilen, sich an all die guten Momente zu erinnern. Die Frauen können sich durch das Singen freier ausdrücken. Jedes Lied erzählt eine Geschichte und veranschaulicht, was sie fühlen oder was sie für die Zukunft hoffen."  

"Was ich bei all dem sehr schön finde, ist die Arbeit, die wir machen", sagt Frida. "Viele bitten uns, sie nicht zu vergessen und zu besuchen. Sie sagen: 'Auch wenn ihr kein Essen oder Zelte mitbringt, die Tatsache, dass ihr hier seid und uns fragt, wie es uns geht, dass ihr von unseren Sorgen wissen wollt, lindert den Schmerz.' Ich denke also, dass unsere Arbeit sehr sinnvoll ist, und die Tatsache, dass sie uns immer wieder bitten, zurückzukommen, ist für mich etwas ganz Besonderes."   

*Namen wurden geändert, um die Sicherheit unserer Mitarbeiter*innen zu schützen.   

Ärzte ohne Grenzen ist seit 1984 in Mosambik aktiv. In der Stadt Pemba unterstützen wir derzeit die Gesundheitsbehörden bei der Verbesserung des Zugangs zu Wasser und sanitären Einrichtungen sowie bei der Reaktion auf mögliche Ausbrüche von Durchfallerkrankungen. Wir sind zudem in Maputo und Beira aktiv und versorgen Menschen mit fortgeschrittener HIV-Infektion, Tuberkulose und Hepatitis C. In allen Projekten unterstützen wir darüber hinaus das mosambikanische Gesundheitsministerium bei der Bekämpfung von COVID-19 durch die Umsetzung von Präventionsmaßnahmen, einschließlich Infektionskontrolle, Triage und Krankheitsüberwachung.