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Somalia: Dürren verschärfen die Gesundheitskrise

Hunderttausende Menschen verlassen ihre Dörfer

Nach vier schlechten Regenzeiten und einer Heuschreckenplage leiden die Menschen in Somalia und Somaliland unter einer der schwersten Dürren überhaupt. Wassermangel und ausgetrocknete Böden haben den Viehbestand – und somit die Lebensgrundlage – der somalischen Hirten dezimiert. Ernten fallen aus, Lebensmittelpreise steigen, ein Großteil der Bevölkerung leidet Hunger.

Auf der Suche nach Essen, sauberem Trinkwasser, einer sicheren Unterkunft und medizinischer Hilfe lassen die Menschen ihr Zuhause zurück. Schon jetzt leben viele von ihnen als Binnenvertriebene in Camps. Die Camps sind überfüllt, Toiletten fehlen und oft auch sauberes Wasser zum Händewaschen. Unter den Bedingungen können sich potenziell tödliche Krankheiten wie Masern oder Cholera rasant ausbreiten.

In Baidoa, Mudug, Jubaland, Hargeisa und Las Anod sind wir im Einsatz

Unsere Patient*innen haben beschwerliche Reisen hinter sich, teils laufen sie bis zu 150 Kilometer am Stück, auf der Suche nach humanitärer Hilfe. Immer wieder kommt es vor, dass Menschen auf ihrer Flucht sterben.

20 Tage lang waren wir unterwegs, mit unseren Kindern auf dem Arm. Unsere Esel sind wegen der Dürre verendet, und Geld für ein Auto haben wir nicht. Man hat uns gesagt, dass Familien, die ihr Vieh verloren haben, in Lower Juba Hilfe erhalten.

- ein 75-jähriger Mann, der mit seiner großen Familie in einem Camp in der Region Lower Juba lebt

Immer mehr Menschen ziehen in die Städte: Öffentliche Einrichtungen und Infrastruktur werden stark beansprucht. Insbesondere die Gesundheitseinrichtungen in Baidoa stehen in Folge des Zustroms zahlreicher vertriebener Familien und der zunehmenden Fälle von Cholera und Mangelernährung unter hohem Druck.

Menschen sterben an vermeidbaren Krankheiten

Die aktuelle Dürre trifft auf Menschen, die bereits jahrzehntelange Konflikte und extreme Armut kennen. Hinzu kommen massive Krankheitsausbrüche. Gerade bei Kindern sind Masern und Durchfall häufige Todesursachen. Der schwere Wassermangel und die unsichere Ernährungslage begünstigen ihre Ausbreitung. Dabei wären diese Krankheiten mit einfachen Mitteln vermeidbar.

Die Menschen in Somalia werden von einer Krise nach der nächsten getroffen. Viele von ihnen sind verzweifelt. Einige berichten von unmöglichen Entscheidungen, die sie treffen müssen. Zum Beispiel, wenn sie ein Kind sterben lassen müssen, um ein anderes zu retten.

- Djoen Besselink, für Ärzte ohne Grenzen in Somalia im Einsatz

Masern sind auf dem Vormarsch

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Foto von dem Kleinkind Saidya im Arm ihrer Mutter. Die Mutter blickt ernst auf ihre Tochter herab, während sich Saidya gerade ein Auge reibt
Die dreijährige Saidya Abdikadir lebt in einem Camp für Binnenvertriebene und ist an einer schweren Form der Masern erkrankt. Sie litt an hohem Fieber, Erbrechen und Hautausschlägen. Masern können zu Mangelernährung führen, und mangelernährte Kinder haben ein höheres Risiko, an Masern zu erkranken.
© Dahir Abdullahi/MSF

6.000 Masern-Verdachtsfälle: So viele Fälle registrierten wir allein bis Mitte Mai 2022 in verschiedenen Krankenhäusern in Somalia und Somaliland. Die Impfquoten bei Kindern gehörten in Somalia schon immer zu den niedrigsten weltweit. Die Covid-19-Pandemie hat die Bemühungen um Routineimpfungen für Kinder unter fünf Jahren im Land weiter eingeschränkt. Allein im Krankenhaus in Baidoa haben wir im Februar bereits mehr als 2.500 Kinder wegen Masern behandelt.

Cholera ist für Kinder besonders gefährlich

Aus Baidoa wurden im April 2022 auch erste Cholera-Fälle gemeldet. Das Risiko, an Cholera zu sterben, ist für Kinder dreimal so hoch wie für Erwachsene. Die schlechten Bedingungen in den überfüllten informellen Siedlungen begünstigen eine schnelle Ausbreitung der Krankheit. In Baidoa, einer Stadt mit rund 130.000 Einwohner*innen, leben derzeit zusätzlich fast genauso viele Vertriebene. Die Zahl der Menschen in der Stadt hat sich verdoppelt. Viele Familien leben auf engstem Raum zusammen.

Akute Mangelernährung ist ein Grund zur Sorge

Im Februar untersuchten wir in Baidoa 81.706 Kinder unter fünf Jahren auf Mangelernährung. Drei Prozent von ihnen waren schwer akut mangelernährt, während die allgemeine Rate von akuter Mangelernährung bei 17 Prozent lag.

In einer Woche nahmen wir sogar rund 1.000 Kinder in unser ambulantes therapeutisches Ernährungsprogramm auf. 30 Prozent von ihnen waren schwer akut mangelernährt. Diese aktuellen Zahlen verdeutlichen die ausgeprägte Notlage.

- Bakri Abubakr, Programmleiter von Ärzte ohne Grenzen in Somalia

Es braucht eine umgehende und nachhaltige Reaktion

"Die Menschen in Somalia und Somaliland befinden sich zurzeit in einer Negativspirale. Es braucht eine umgehende, nachhaltige Reaktion von humanitären Organisationen. Ansonsten wird sich die Notlage noch weiter zuspitzen," sagt Djoen Besselink, für Ärzte ohne Grenzen in Somalia im Einsatz.