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Zwangslizenzen sind für Pandemiezeiten nicht geeignet

Zu langsam, zu kompliziert: Ärzte ohne Grenzen warnt vor dem Vorschlag der EU, die Impfstoffproduktion über Lizenzen zu erhöhen

Anlässlich der nächsten Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) zum Thema Patente spricht sich Ärzte ohne Grenzen gegen Zwangslizenzen als Alternative zu einer Patentaussetzung aus. „Zwangslizenzen dauern zu lange und brauchen zu viel Zeit – die die Weltgemeinschaft aktuell nicht hat“, sagt Elisabeth Massute, politische Referentin bei Ärzte ohne Grenzen. „Es ist offensichtlich, dass der Vorschlag der EU eher das Ziel hat, die notwendigen Verhandlungen zur Aussetzung geistiger Eigentumsrechte zu verzögern. Zwangslizenzen sind für eine Pandemie, in der es um schnell wirksame Maßnahmen geht, völlig ungeeignet.“

„In den letzten Monaten haben wir miterlebt, wie das Gesundheitspersonal in Ländern wie Indien, Peru und Brasilien darum gekämpft hat, an Covid-19 erkrankte Menschen zu behandeln“, sagt Maria Guevara, internationale medizinische Leiterin von Ärzte ohne Grenzen. „Die Gesundheitssysteme dieser Länder standen am Rande des Zusammenbruchs. Sauerstoffkonzentratoren, Beatmungsgeräte und Medikamente sind weiterhin knapp. Die Regierungen müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, damit jedes Land eine Chance hat, während dieser Pandemie so viele Leben wie möglich zu retten.“

Die EU weigert sich jedoch bisher, sich auf konkrete Diskussionen über den Antrag auf Aussetzung bestimmter geistiger Eigentumsrechte, den so genannten Trips Waiver, einzulassen. Sie setzt gegenüber den Pharmakonzernen stattdessen weiterhin auf freiwillige Maßnahmen, die bisher schon nicht ausreichend funktioniert haben. Sie hat jetzt sogar einen Gegenvorschlag präsentiert, der allerdings nichts wirklich Neues enthält, da er lediglich die Rolle von bereits bestehenden Maßnahmen wie Zwangslizenzen unterstreicht. 

Zwangslizenzen beziehen sich aber lediglich auf Patente und nicht auf die Bandbreite aller geistigen Eigentumsrechte. Wichtiges Know-how würde so weiterhin nicht geteilt werden. Zudem sind sie jeweils auf einzelne Länder und einzelne Impfstoffe, Medikamente und Testmethoden beschränkt, und jedes Land dürfte damit hauptsächlich nur für den eigenen Bedarf produzieren. Zwangslizenzen sind damit für den Kampf gegen Covid-19 viel zu umständlich, zu langsam und kompliziert. Eine Aussetzung der Patente und anderer Barrieren durch den Trips Waiver würde hingegen mit einem Schlag den Weg frei machen, die Produktion aller Materialien und sogar der nötigen Ausgangs- und Rohstoffe weltweit zu steigern. 

„Angesichts neuer und schneller übertragbarer Varianten des Virus in vielen Ländern können wir es uns nicht leisten, Strategien zur globalen Ausweitung der Produktion wie den Antrag zur Aussetzung geistiger Eigentumsrechte zu verzögern. Sie sind notwendig, damit die medizinischen Hilfsmittel gegen Covid-19 für alle zugänglich und erschwinglich sind“, sagt Guevara.

Mittlerweile bemühen sich viele Mitglieder des Europäischen Parlaments, Unterstützung für den Waiver-Vorschlag zu sammeln. Im Mai nahm das Europäische Parlament eine Resolution zur Beendigung der HIV/AIDS-Epidemie bis 2030 an, in der der Waiver-Vorschlag bereits befürwortet wird. In dieser Woche will das Parlament explizit über eine Unterstützung des Waivers abstimmen. Auch in Deutschland gibt es eine breite parlamentarische Unterstützung, aber die Bundesregierung hält weiter an einer Blockadehaltung fest.

Weiterführende Informationen auf Englisch: 

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Unsere Pressereferentin Heike Dierbach
Heike Dierbach
- Pressestelle